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10/07/2021 21:23 published by Alexander (unknown) in Aachen / Aachen / Germany - #2.1.16.10.1.1.-20211007-2389

Pina Bauschs "Kontakthof" mit dem Tanztheater Wuppertal bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen

MACHT DER ERKENNTNIS

Die legendäre Inszenierung von Pina Bausch beschäftigt sich mit gesellschaftlichen Zwängen und klischeehaftem Verhalten. Schlagermusik und Tangos beschwören dabei eine seltsame Atmosphäre herauf. Fremdheit, Annäherung, Angst, Sehnsucht, Lust, Gewalt und Hass zwischen den Geschlechtern brechen immer wieder in vehementer Weise auf. Bühne und Kostüme von Rolf Borzik passen sich dem differenzierten Bewegungsapparat an. Größtmögliche Nähe und zuweilen schmerzliche Distanz zwischen Männer- und Frauengruppen sind die Konsequenzen. Die hintersinnigen Texte der Tangos von Juan Llossas reflektieren die Welt dieses spanischen Komponisten, der in den 30er-Jahren sehr erfolgreich war. Llossas war übrigens ein spanischer Faschist, den die Nazis in den 30er -Jahren in Deutschland förderten. So konnte er Karriere machen.  "Du bist nicht die Erste" erklingt in zwei Versionen: Einmal von Walter Jurmann, Rudolf Bernauer und Rudolf Österreicher sowie in der Fassung von P. Lesso-Valerio - wieder verführerisch gesungen von Juan Llossas. So besitzt auch die Nummer "Gnädige Frau, Sie sind ja so schön" in seiner Wiedergabe unverwechselbaren Charme. Starre und manchmal explosive Rituale scheinen die zuweilen spießige Atmosphäre aufzubrechen. Gewalt und Machtgier blendet Pina Bausch bei ihrer psychologisch interessanten Arbeit keineswegs aus. Die Tanzkompanie setzt diese Musik höchst konsequent um. Llossas  interpretiert einen Großteil der Songs im Forum am Schlosspark. Darunter sind nicht nur "Frühling und Sonnenschein" von Ernesto de Curtis und Franz Baumann, sondern auch "Im Rosengarten von La Plata" von Willy Rosen und Robert Gilbert sowie Juan Llossas eigene Lieder "Tango Bolero" und "Granada". Auch das berühmte Stück "Valse triste" aus "Barnabas von Geczy" von Jean Sibelius wird vom Tanztheater Wuppertal kongenial umgesetzt.  Zuweilen überrascht das Tanztheater Wuppertal sein Publikum mit einer ausgefeilten Schreittechnik. Die idealisierte Welt wird hier grundsätzlich kritisch betrachtet: Das zeigt der Song über die "Fidschi-Inseln". Das "Kuscheln" mit der Fidschi-Puppe wird kurzerhand auf amüsante Weise umgesetzt: Da erkennt man plötzlich die Plastikpuppe im weiträumigen Bühnenambiente. Sie wird wild durch die Luft geschleudert. Manchmal bewegt sich das Ensemble auch asymmetrisch und asynchron zur Musik. Doch dieser visuelle Knoten wird schnell wieder gelöst. Die Formation lässt festgefahrene Strukturen einfach los. Die Welt und die Menschheit rücken in den Mittelpunkt des Geschehens. Der Umgang mit Rassismus, Sexismus und Ausgrenzung wird hier jedenfalls sehr direkt thematisiert. Das kommt beim Publikum an. Begeisterung im Forum. 

ALEXANDER WALTHER