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05/21/2018 18:14 published by Alexander (unknown) in Aachen / Aachen / Germany - #2.1.16.10.1.1.-20180521-1903

Gerhard Stadelmaier: "Umbruch", Roman (Paul Zsolnay Verlag)

WENN DER CHEFREDAKTEUR SELBSTMORD BEGEHT

Gerhard Stadelmaier, Theaterkritiker der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bis 2015, hat hier bildstark und ironisch einen Roman über einen jungen Mann und sein Zeitungsleben geschrieben. Es ist natürlich auch eine Liebeserklärung an die große Zeit der Zeitung, die längst vorbei ist. Das spürt man gleich im ersten Satz dieses Romans: "Der Tag, an dem der Chefredakteur sich selbstmorden ging, war ein heiterer." Mit sphärenhaftem und manchmal auch schwarzem Humor beschreibt Stadelmaier, wie der junge Journalist nach und nach dem Medium Zeitung verfällt. Dabei säumen ein paar Leichen von Chefredakteuren seinen Weg. Bei der "Stadtpost" war der Chef ein kleiner Herrgott, während bei der "Landeszeitung" der Umbruch wie ein katholisches Hochamt zelebriert wurde. Bei der "Staatszeitung" brechen schließlich alle Dämme. Vor allem die "Landeszeitung" wusste natürlich als erste, wo sie zu sein hatte. Der Einstiegstag in den Turm der "Landeszeitung" wird als der zauberhafteste in der seltsamen Karriere des jungen Mannes beschrieben. Die Redakteure werden bei Stadelmaier allgemein als "Faulenzer" bezeichnet, die nur ihren eigenen Schreibhobbys nachgehen. Der öde Redaktionsalltag wird in seiner ganzen Stumpfsinnigkeit und bornierten Beschränktheit gnadenlos karikiert und aufs Korn genommen. Das sind überhaupt die besten Seiten dieses bemerkenswerten Kulturromans für Eingeweihte. Bei einer Beschränkung der Freiheit des örtlichen Staatstheaters standen dann die Theaterkritiker naturgemäß auf Seiten des Staatstheaters, was Stadelmaier auch mit sarkastischem schwäbischen Humor genüsslich umschreibt. "Das Theater isch a Sünd'" galt bei Pietisten als unverrückbarer Glaubenssatz. Es gibt dann eine konsequente dramaturgische Steigerung im Roman, als der wegen seiner Marinerichtertätigkeit in der Nazizeit zurückgetretene konservative Ministerpräsident des Landes gegen den Schauspielchef Front machte, der dem Slogan "Freiheit oder Sozialismus" einen Liederabend entgegenhielt. Der Ministerpräsident war deswegen wütend, auch weil das Gretchen in "Faust I" nackt aufgetreten war. Die Spende für die Zahnbehandlung einer Terroristin brachte das Fass dann zum Überlaufen, was Stadelmaier plastisch beschreibt. "Selbst ganz normale Repertoire-Aufführungen wurden zu spannungsgeladenen Duellen zwischen Bühne und Publikum, abgesehen davon, dass unangepasste Frauenfiguren wie Antigone oder Iphigenie von vornherein zu großen problematischen Schwestern der einsitzenden Terroristinnen stilisiert wurden", heißt es im Roman weiter. Diese "Zahnspendenaffäre" führte zum Abgang des Schauspielchefs, den Stadelmaier in kurzen und lakonisch knappen Sätzen treffsicher und pointiert beschreibt. Überhaupt werden die spöttischen Pfeile gegen die schwäbische Kulturgesellschaft knallhart und messerscharf abgeschossen. Die Syntax trifft hier immer, lässt keine Zweifel aufkommen. Zum Schluss ist es auch mit der Liebe zu Beethoven vorbei, nachdem der Feuilletonchef gnadenlos das Büffet abgeräumt hat. Bleibt für Illusionen überhaupt noch ein Platz übrig? Gibt es Hoffnung für das sterbende Medium Tageszeitung? Stadelmaier gibt sofort die Antwort:  "Es kommt nichts Besseres nach." 

A. Walther

(Fortsetzung folgt)