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05/11/2018 08:19 published by Alexander (unknown) in Aachen / Aachen / Germany - #2.1.16.10.1.1.-20180511-1898

Premiere "Salome" nach Oscar Wilde/Einar Schleef im Schauspielhaus Stuttgart

ALPTRAUMHAFTE WELT IM MONDSCHEIN

"Salome ist eine Sauerei, selbst in der harmonischsten Übertragung", so Einar Schleef über Oscar Wildes Stück, das er bearbeitet hat. Die gesellschaftlichen Probleme werden auch in der insgesamt interessanten Inszenierung von Sebastian Baumgarten in zugespitzter Weise gezeigt (Bühne: Thilo Reuther). Die Geschichte geht in dieser Version auf den Evangelisten Markus zurück. Prinzessin Salome fordert für ihre Mutter Herodias von König Herodes den Kopf des Propheten. Verschmähte Liebe ist das Hauptmotiv von Salomes Forderung nach dem Kopf des Täufers. Die Abgründe von Askese und religiöser Ekstase wird hier facettenreich thematisiert, die Figuren steigern sich in einen orgiastischen Rausch nach dem Voodoo-Prinzip hinein. Die Video-Projektion von Philip Bußmann offenbart nicht nur eine gewaltige Planetenkollision, sondern auch den Mond in allen möglichen Schattierungen. Die Bühne führt in einem steilen Treppenaufgang direkt zum gewaltigen Palast, dessen unsichtbarer Hintergrund von einer seltsamen Schiebetür versteckt wird, hinter dem die Protagonisten verschwinden. Johannes verkörpert diese Askese radikal und kompromisslos, während Prinzessin Salome für radikale Liebesverwirklichung plädiert. Salome hört fasziniert die Stimme des in der Zisterne gefangenen Johannes, der vor allem ihre Mutter als Hure beschimpft. In leidenschaftlicher Weise begehrt sie den Körper des Propheten, aber dieser weist sie zurück und fordert sie auf, ihr Leben zu ändern. Dabei steigert sich der dramaturgische Spannungsbogen in Sebastian Baumgartens Inszenierung ganz erheblich. Der von Salome endlos genervte Herodes lässt Johannes schließlich töten. Salome erhält als "Lohn" für ihren suggestiven Tanz den Kopf des Johannes. Als sie mit dem Toten Zwiesprache hält, sind Herodes und Herodias schockiert: "Das Geheimnis der Liebe ist stärker als das Geheimnis des Todes." Salome will nicht glauben, dass der Glaube an Gott die Liebe zu einer Frau verhindern kann. Dies arbeitet Baumgarten in seiner Arbeit konsequent heraus. Die magische Musik von Jörg Follert hilft ihm dabei. Salome möchte von Johannes begehrt werden, sie möchte, dass er ihre Liebe und ihre sexuellen Ansprüche anerkennt. Doch er ist nur auf das Reich Gottes fixiert. Dieser gewaltige Gegensatz beherrscht die grelle Inszenierung. Thomas Wodianka als Herodes kann seine innere Zerrissenheit gut verkörpern, während Astrid Meyerfeldt als seine hysterische Frau Herodias eine schauspielerische Glanzleistung liefert. Sie schlüpft stellenweise auch in die abgründige Rolle der Klytämnestra aus "Elektra" von Hugo von Hofmannsthal. Ihre Blicke zum Mond, der sich allmählich in geheimnisvoller Weise rötlich verfärbt, besitzen eine dämonische Kraft, die gut zur Handlung passt. Auch als sie im Zuschauerraum keifend ihren Mann auffordert, Salomes Forderung nachzugeben, spürt man den elektrisierenden Zauber, der von dieser Figur trotz allem abstoßenden Habitus ausgeht. Juliscka Eichel als Prinzessin Salome leidet unter der abweisenden Haltung des Johannes. Sie spürt, wie sehr sich die Männer hinter der Religion verschanzen. Der allgemeine Untergang lässt so nicht lange auf sich warten: "Ich will Liebe. Nicht Ehe, nicht Ehekrieg. Nicht das Weib gehorche dem Manne, sondern Liebe." Paul Grill vermag als geschundener, mit Dreck besudelter Prophet Johannes seine Verzweiflung über die katastrophalen Verhältnisse am Königshof überzeugend zu verdeutlichen: "Wo ist das Weib. Wo sind die Schwestern des Ekels, die Erde höre zu, und was da drinnen ist, der Weltkreis samt seinen Gewächsen. Der Herr ist grimmig und zornig über sie, er wird sie zum Schlachten überantworten, die Schwestern des Bösen..."  Für den Schluss hat sich Sebastian Baumgarten geradezu apokalyptische Bilder aufgespart, die auch durchaus von biblischen Handlungen inspiriert sind. Bei den letzten Worten Salomes, die den Kopf des Johannes geküsst hat, stürzt plötzlich das gesamte Weltall zusammen. Die Bühne geht in ohrenbetäubendem Getöse unter. In weiteren Rollen gefallen noch Horst Kotterba, Sebastian Röhrle und Christian Czeremnych als Gäste und Repräsentanten der geistigen Oberschicht, Christian Czeremnych als verzweifelter syrischer Prinz Narraboth, Sebastian Röhrle als neuer Henker Naaman, Horst Kotterba als Page der Herodias und Felix Mühlen als römischer Architekt und Gesandter Cäsars namens Tigellinus. Vielleicht ist es beabsichtigt, dass man bei dieser alptraumhaften Inszenierung die Musik von Richard Strauss im Ohr hat: "Ich höre die Flügel des Todesengels im Palaste rauschen..." Die packenden Momente der einzelnen Szenen könnte man allerdings noch spannungsvoller herausarbeiten - das gilt auch für die manchmal nicht konsequent genug gestaltete Personenführung. Salomes Schleiertanz offenbart in Julischka Eichels Darbeitung neben exzessiver sexueller Raserei auch tranceartige Momente zwischen Schlaf und Erwachen. Man sieht plötzlich die Gestalt einer nackten Frau und eines Skeletts, die auf die Schleier der Salome hinaufprojiziert werden. Da nimmt dank Philip Bußmanns einfühlsamer Videoarbeit die Prinzessin Salome eine vielfältige, undurchsichtige Gestalt an. Klar wird bei Einar Schleefs subversiver Bearbeitung dieses Stoffes zudem, dass das männliche Christentum immer wieder weibliche Opfer braucht. Salome ist der weibliche Widerstand, der gebrochen wird. Sie wird als Enkelin des Grossen Herodes vernichtet. Und die Kostüme von Marysol del Castillo spielen mit verschiedenen Zeiten zwischen Antike und Moderne. Neben begeistertem Applaus gab es auch "Buh"-Rufe. 

ALEXANDER WALTHER