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10/02/2017 09:19 published by Alexander (unknown) in Aachen / Aachen / Germany - #2.1.16.10.1.1.-20171002-1778

Öffentliche Tagung zur Mündlichkeit in den Medien, der Rhetorik und Sprechkunst an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart

OBAMA UND MERKEL IM FOKUS

Das Tagungsthema stand ganz im Zentrum der Sprechkultur. Sprechstile, die die Bühne dominieren, wurden untersucht. Dies galt auch für das chorische Prinzip, dem sich Marc Aisenbrey widmete. Es wurden verschiedene Herangehensweisen an chorische Arbeit im Sprechtheater vorgestellt und anhand sehr kurzer Passagen praktisch ausprobiert. Marit Beyer demonstrierte Übergangssequenzen für das Sprechen am Mikrofon. Es ging um die Erarbeitung und die Präsentation von kurzen Auszügen aus Feature, Kulturmagazin und Nachrichten, die Erarbeitung differenzierter Sprechhaltungen und die intensive Auseinandersetzung mit der Sprechtechnik am Mikrofon. Marit Beyer spricht für Rundfunk und Fernsehen. Johannes Michael Blume beschäftigte sich mit der Selbstorganisation der Sprech- und Singstimme durch sensorisch orientierte Klangarbeit. Seit mehr als 30 Jahren ist das Lichtenberger Institut für angewandte Stimmphysiologie in Lichtenberg bei Darmstadt europaweit bekannt für seine Forschungsarbeit und seine Lehrtätigkeit zu neuen Ansätzen in Gesang und Stimmbildung. Darauf ging Blume ein, der an der Musikhochschule Detmold Gesang studierte. Durch differenziert  geführte Stimulationen werden Beziehungen zum Klang-, Körper- und Nervensystem aufgebaut und die Erweiterung der individuellen Wahrnehmungsfähigkeit entwickelt. Christian Büsen war Rundfunkredakteur, bevor er das Fach Sprechen/Sprecherziehung an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart studierte. Er untersuchte intensiv das Mediensprechen für Einsteiger. Die Teilnehmer des Wirkshops hatten Gelegenheit, in einer Studiosituation ein Skript ihrer Wahl einzusprechen: Lippensynchron, Fernsehdokumentation, Nachricht oder Werbespot. Marcel Drägers Vortrag war sehr praktisch angelegt, er stellte sein empirisch gestütztes Lehr-Konzept zur Wissenspräsentation als eigenständige Kommunikationsform vor. Das Publikum wurde hier sehr stark mit einbezogen. Uwe Durst von der Universität Stuttgart präsentierte Phantastische Balladen: Was ist Phantastik? Wie funktioniert sie? Er zeigte Beispiele für phantastische Balladen und die Konsequenzen der Verssprache. Hartwig Eckert von der Europa Universität Flensburg untersuchte die Trends terminierender und körpersprachlicher Signale sowie deren erhöhte Frequenz. Philipp Falser von der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart beschrieb die gegenwärtige Situation des Felsentalerischen als Ergebnis einer Bachelorarbeit. Im Trentiner Felsental besteht seit dem 13. Jahrhundert das Felsentalerische. In dem kleinen Tal leben keine tausend Einwohner und dennoch konnte sich die kleine Sprache behaupten. Die Sprecherzahlen nehmen jedoch seit Jahrzehnten kontinuierlich ab. Darauf ging Philipp Falser in seinem interessanten Vortrag auch mit Hörbeispielen ein. Thorsten Fitzon zeigte auf, was entsteht, "Wenn Texte plaudern. Ästhetik und Funktion fingierter Mündlichkeit". Der Vortrag befasste sich mit den paradoxen Formen fingierter Mündlichkeit in der Literatur der Moderne. Suzanne Friedrich von der Universität Regensburg beschäftigte sich mit "Gaydar. Wer erkennt wen woran am besten? Die Rolle von Beurteilermerkmalen bei der Erkennung von sexueller Orientierung". Der Vortrag stellte einige Ergebnisse der Gaydar-Studie vor, deren Daten im Frühjahr 2015 an der Universität Regensburg erhoben wurden. Lisa Fröhlich von der Philipps-Universität Marburg unterstrich "Aktives Zuhören im Detail - Über den Zusammenhang von Lernstiltyp und Wirksamkeit von gesprächsanalytischen Kommunikationstrainings". Dies wurde anhand der Ausbildung von Zuhörkompetenz genau beleuchtet. Luise Gabel analysierte in ihrem Workshop "Werbung sprechen" auch bestimmte Verhaltensregeln anhand des Jargons von Agenturen und Studios. Eva Maria Gauss von der Philipps-Universität Marburg zeigte "Kulturen der künstlerischen Sprechbildung an Schauspielschulen" auf. Dabei stand dann die Frage im Raum, wie Körperwissen vermittelt und kultiviert wird. In ihrer Dissertation untersuchte sie videografisch und qualitativ verschiedene Ansätze des Sprechunterrichts an deutschen Schauspielschulen. Die Sprecherzieherin Sarah Giese bewies in ihrem Workshop, wie sich in England in den letzten Jahrzehnten eine ganz eigene Tradition des Körpertheaters entwickelt hat - nämlich "Physical Theatre und Interpretierendes Textsprechen". Anja Görzel (Moderatorin und Redakteurin unter anderem beim Südwestrundfunk) beschrieb die Ansprüche an den modernen Pressesprecher: "Zwischen Shitstorm und Lobbying". Norbert Gutenberg von der Universität des Saarlandes untersuchte die Zusammenhänge zwischen "Ästhetik", "Kunst" und "Kultur". Kati Hannken-Illjes von der Philipps-Universität Marburg sowie Michelle LaVigne von der Universität of San Francisco beschrieben in einem spannenden Vortrag "Die Rahmung terroristischer Anschläge als tragisch: Zwischen Distanz und Nähe". Anhand von Reden Angela Merkels und Barack Obamas und auf der Grundlage von Kennys Konzept der Tragödie (2006) wurden zudem auch die Reaktionen auf die terroristischen Angriffe in Paris im November 2015 angesprochen. Christa Heilmann von der Philipps-Universität Marburg zeigte "Interventionen im Gespräch mit Blinden": "Ich sehe das, was Du nicht siehst". Dabei stand die Frage im Zentrum, inwieweit Blinde untereinander oder im Gespräch mit Sehenden ähnliche Parameter des Körperausdrucks für Unterbrechungen nutzen. Oliver Herbst von der Universität Würzburg analysierte Wahlwerbespots der CDU/CSU, der SPD, der Linken und der Grünen. Das Zusammenspiel von Schriftlichkeit und Mündlichkeit wurde hier höchst spannend beleuchtet. Übrigens finden sich seiner Meinung nach auch bei AfD und FDP ähnliche Verhaltensmuster. Helge Heynold (unter anderem Redakteur beim Hessischen Rundfunk) lud Fortgeschrittene mit Mikrofon-Erfahrung zu seinem Vortrag "Warum Vorlesen?" ein. Stefan Hilsbecher (unter anderem Erster Regisseur im Kulturprogramm SWR2) gab eine "Kleine Anleitung zur Präsenz am Mikrofon". Dabei wurden vorgegebene Texte in einem Studio des SWR aufgenommen, besprochen und ein weiteres Mal aufgenommen. Dervis Hizarc untersuchte "Chancen und Grenzen eines interkulturellen und interreligiösen Dialogs". Dabei stand die Frage im Raum, welche kommunikaitven Kompetenzen erforderlich sind. Jule Hölzgen meinte, dass Kunst Demut brauche. Die Kunst sei, wie es der Philosoph Robert Spaemann ausdrücke, auf dem Weg in die Wirklichkeit. Stefan Kammhuber von der Hochschule für Technik Rapperswil (Schweiz) besprach in seinem Vortrag den unbestreitbaren Zusammenhang von interkultureller Kommunikation und Globalisierungsängsten - auch anhand einer Rede des US-Präsidenten Ronald Reagan 1987: "Mr Gorbachev, tear down this wall!" Wie stark Protestphänomene wie Pegida und AfD die Situation in Deutschland prägen würden, wurde hier ebenfalls deutlich. Kerstin Kipp, Psychologin und Professorin für Sprechwissenschaft, stellte die Frage: "Sprechprofi oder nicht: Welchen Unterschied macht das in der Sprechweise?" Anhand von ausgewählten Beispielen konnte das Publikum dann ausgebildete Sprechkünstler von Amateuren unterscheiden. Stefanie Köhler von der Staatlichen Hochschule für Musik Karlsruhe (Opernschule) präsentierte ihre sprachkünstlerische Arbeit an der Ballade: "Halb zog sie ihn, halb sank er hin". In der Ballade, so wurde Goethe zitiert, würden auf faszinierende Weise Epik, Dramatik und Poesie verschmelzen. Olaf Kramer vom Seminar für Allgemeine Rhetorik der Universität Tübingen stellte "Rednerbühnen im Wandel" vor. Die Inszenierung des Redners auf der Bühne von Walter Jens bis hin zum heutigen "Poetry Slam"-Festivalpoeten ließ er souverän Revue passieren. Der Redner wurde plötzlich zum großen Star - ganz wie in der griechischen Antike. Annette Lepschy und Thomas Griessbach (unter anderem Stuttgarter Musikhochschule) lenkten den Blick auf "Feedback-Gespräche". Es ging um Leistungsbeurteilungen in Verwaltung und Unternehmen unter dem Aspekt der kontrollierten Subjektivität. Mit Arne Morgner konnte man Sprachaufnahmen in einem Workshop selbst erstellen. Fabian Neidhardt beleuchtete als freier Journalist "Die Vielleicht-Ära" als "Unverbindlichkeit im Alltag". "Rhetorik in den Naturwissenschaften: Ein Co-Teaching-Lehrkonzept" stellten Ulrike Nespital und Christian Heiliger von der Justus-Liebig-Universität Gießen vor. 2016/17 wurde an der Justus-Liebig-Universität Gießen eine Vorpilotstudie im Studiengang Materialwissenschaft durchgeführt. Das Konzept basiert auf der Studie "Kompetent Referate halten". Die Ergebnisse dieser Studie zeigen bei zehn Probanden eine signifikante Verbesserung der Vortragsqualität. Andreas Poensgen (unter anderem Universität Göttingen) beobachtete "Die dunkle Triade und das Böse in Unternehmen - Formen und Ursachen von Fehlverhalten in großen Organisationen. Ziel des Vortrags war es, einen Überblick über wichtigste Erscheinungsbilder von Fehlverhalten zu geben. Er skizzierte Typen, ihre Quellen und Ursachen, die sowohl mit den menschlichen Persönlichkeitsmerkmalen und Eigenschaften zu tun haben als auch mit den kulturellen Eigenheiten menschlicher Organisationen. Abraham Roelofsen (Dozent für Homiletik und Sprechwissenschaft im Bistum Aachen a.D.) untersuchte die Predigt als Schriftauslegung. Er wies dabei nach, dass die Schriftauslegung in seinem biblischen Kontext in erster Linie ein Kommunikationsgeschehen ist, das auf mündlicher Tradition beruht. Für die Sprechkultur bedeute dies, dass die Rede weniger auf geschliffene Formulierungen ausgerichtet sei als auf das aktuelle Kommunikationsgeschehen. Dabei verändere sich das Ziel der Predigt, es entstehe die Bereitschaft, von dem zu sprechen, was die Schrift in mir und den Hörern auslöse. Thomas Schipperges und Andreas Flad (Musikwissenschaftliches Insitut der Universität Tübingen) erklärten den Sprechchor anhand von Formen und Funktionen in der Musikgeschichte sowie am Werk Carl Orffs. Beleuchtet wurden auch die Arbeitermusikbewegung seit den 1920er-Jahren ebenso wie im NS-Staat mit seinen Sprechchorverboten. Barbara Schmalz-Rauchbauer und Irmela Beyer präsentierten den Linklater Workshop mit Einblicken in das Format "Befreien der natürlichen Stimme" als auch "Sound and Movement". Kristin Linklater hat ihren Arbeitsweg in jahrzehntelanger Erfahrung als Schauspielerin, Regisseurin und Sprecherzieherin immer klarer zur Methode verdichtet. Eva Tacha-Breitling von der Privatuniversität für Musik und Kunst der Stadt Wien untersuchte die Frage "Wie soll ich auf der Bühne sprechen?" Sie gab in diesem Zusammenhang einen Einblick in die Sprachausbildung junger Studierender an der Musik- und Kunst-Privatuniversität in Wien. Die Sprecherzieherin und freie Autorin Britta Tekotte unterhielt das Publikum mit einem witzigen und ansprechenden Vortrag über die "Rhetorik und Ästhetik der WhatsApp-Kommunikation". Firmen, in denen Chat-Tools häufig verwendet werden, standen dabei ebenso im Zentrum wie WhatsApp-Chats in Magazinen. Caroline Waldeck zeigte als politische Redenschreiberin die verzwickte Situation auf, wenn man "Populisten Paroli bieten" soll. Mit der Kraft der Worte gegen die Macht der Schlagworte - so lautete die Devise. Und Roland W. Wagner  von der Pädagogischen Hochschule Heidelberg meinte: "Besser sprechen lernen mit Internet-Videos?" Marie-Luise Waubert de Puiseau erklärte das Konzept Schlaffhorst-Andersen, wo über unterschiedliche Methoden an der Gestaltung von Texten und Liedern gearbeitet wird. Es geht dabei um Strömungskonsonanten, Klinger  (Konsonanten, deren Eigenschaft das "Klingen" ist), Explosive, den Hauchlaut und Vokale (Natur-, Kultur- und Urlaute). Eberhard Wolf vom Schweizer radio und Fernsehen sprach facettenreich über das Agieren in virtuellen Umgebungen. Berichte, Storys und Erklärungen rundeten das vielschichtige Bild ab. Astrid Zapf vom Institut für Rhetorik in Nürnberg vermittelte spezifische Kenntnisse der Redekompetenz: Klären, Wahrnehmen, Lebhaft sprechen. Im Training ging es dabei um die körperliche und mentale Präsenz beim Sprechen. Ellen Zitzmann, Philologin und Sprecherzieherin, rückte das "Hören - beschreiben - beurteilen" in den Mittelpunkt: Zur Qualität von Hörfunk und Fersehbeiträgen. Der Workshop gab einen interessanten Einblick in die Kriterien von Hörfunk- und Fernsehbeiträgen sowie deren Qualität. Es war eine Tagung, die auf einem didaktisch hohen Niveau stand.

ALEXANDER WALTHER