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03/24/2017 07:30 published by Alexander (unknown) in Aachen / Aachen / Germany - #2.1.16.10.1.1.-20170324-1699

RINGEN MIT GOTT

Die Württembergische Landesbühne gastierte im Kronenzentrum/BIETIGHEIM-BISSINGEN Die erbarmungslose moderne Welt wird in den Romanen von Joseph Roth immer wieder hart kritisiert. In der Bearbeitung von Koen Tachelet wurde dieser "Roman eines einfachen Mannes" jetzt in einer plastisch-plausiblen Bühnenfassung mit der fulminanten Württembergischen Landesbühne Esslingen in der subtilen Inszenierung von Christof Küster gezeigt. Es ist das Denkmal jüdischer Leidensfähigkeit und Größe. Mit dieser Prosalegende hat Joseph Roth anhand des Lehrers Mendel Singer in einem galizischen Judendorf aus seiner Zeit heraus den biblischen Stoff von der Heimsuchung Hiobs erneuert: "Hast du einmal gesehen, dass Gott einem Mendel Singer geholfen hätte?" Der hervorragende Schauspieler Reinhold Ohngemach lässt dies drastisch deutlich werden. Es ist eine "endlose Flucht vor dem Nichts", Mendel Singer hält aber krampfhaft an den Traditionen fest. "Wofür bin ich so gestraft? Ich suche nach einer Sünde, aber ich kann keine schwere finden. Wo ist die Sünde? Wo steckt die Sünde?" fragt Mendel Singer hier mit geradezu bohrender Intensität. Dieser Moment ist der stärkste in dieser packenden Aufführung (Bühne und Kostüme: Marion Eisele). Da sieht man Betonklötze wie Quadern aufragen, dazwischen steht einsam und verlassen ein Baum, an dem sich Mendel Singer immer wieder anlehnt. Treu lebt Singer nach dem Gesetz der Vorväter. Und doch muss er zahlreiche Schicksalsschläge hinnehmen. Sein ältester Sohn muss zum Militär, sein zweiter Sohn desertiert und emigriert in die USA, seine einzige Tochter lässt sich mit Kosaken ein und sein jüngster Sohn Menuchim ist behindert. Das alles lässt Singer am Leben fast verzweifeln. Und so begehrt er heftig gegen Gott auf: "Ich will Gott verbrennen. Gott ist ein Betrüger, Gott ist grausam!" Auch die Beziehung zu seiner Frau (die von Gesine Hannemann mit vielen Facetten verkörpert wird) ist merklich abgekühlt: "Mendel, begehrst du mich noch oder schämst du dich vor mir?" Da gelingen dem Regisseur Christof Küster eindrucksvolle Bilder. Ausgezeichnet ist auch Sofie Alice Miller als Mendel Singers schizophrene Tochter Mirjam, die zwischen Euphorie und wilden Verzweiflungsausbrüchen hin- und herschwankt. Dadurch gewinnt die Aufführung ihre dramaturgische Größe und klare Struktur. Auch im Exil werden die Singers nicht glücklich, das kommt sehr packend zum Vorschein. Die beiden älteren Söhne fallen im Zweiten Weltkrieg, seine Frau stirbt aus Kummer und die Tochter verfällt endgültig dem Wahnsinn. "Ich habe die Schläge nicht verdient!" jammert Singer. Er verflucht Gott - aber dadurch wird seine Situation nur noch schlimmer und auswegloser. Neben Gesine Hannemann als Deborah und Skowronnek überzeugen ebenso die weiteren Darsteller Benjamin Janssen als Jonas/Groschel, Christian A. Koch als Schemarjah/Menkes, Marcus Michalski als Menuchim und Ulf Deutscher (Doktor/Kapturak/Kosak/Mac) und Eberhard Boeck (Rabbi/Bauer/Psychiater). Die szenische Konzentration wird bei dieser Inszenierung immer dichter, verläuft konsequent auf das überraschende Ende hin. Denn obwohl Mendel Singer mit Gott heftig hadert und schließlich seinen so festen Glauben und allen Lebensmut verliert, hält das Leben zuletzt noch eine große Überraschung für ihn bereit, die ihn am Lebensende mit dem Schicksal zu versöhnen vermag. An Tiefe und Empfindung lässt dieser Schluss nichts zu wünschen übrig, denn der alte Lehrer erkennt zuletzt den verloren geglaubten Sohn wieder. Auch der Melancholiker und Pessimist Joseph Roth ist hier immer wieder deutlich erkennbar. Reinhold Ohngemach bietet in dieser Schluss-Szene mit dem verloren geglaubten Sohn eine wirklich brillante schauspielerische Leistung, die das Publikum unmittelbar berührt. Und der plötzlich gesunde Sohn kommt nach Amerika und holt seinen Vater in die Heimat zurück. Hiob kann jetzt sagen: "Ich möchte die Welt begrüßen". Das Bühnenbild wirkt zuweilen wie der Blick ins Gehirn eines Menschen. "Wer von mir verlangt, kein Lehrer zu sein, der versucht mich auszulöschen auf der Liste der Welt..." Mendel Singer hat hier klare Vorstellungen von dem, was ihm die Welt schuldet. "Ich will freikommen!" fordert er ultimativ. Damit entkommt er schließlich auch seinem Unglück. Zum Glück geht die Musikalität der Sprache Roths bei dieser vom Publikum mit Begeisterung aufgenommenen Inszenierung nicht verloren.

ALEXANDER WALTHER