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12/17/2016 08:04 published by Alexander (unknown) in Aachen / Aachen / Germany - #2.1.16.10.1.1.-20161217-1656

Konzert mit dem SWR Symphonieorchester zu Hans Zenders 80. Geburtstag in der Stuttgarter Liederhalle

DIE MACHT DES GESANGES

Konzert des SWR Symphonieorchesters im Beethovensaal der Liederhalle zu Hans Zenders 80. Geburtstag/STUTTGART Gesang spielte im Leben Hans Zenders immer eine besondere Rolle. Er leitete lange Jahre das Rundfunk-Sinfonieorchester in Saarbrücken und war Professor an der Frankfurter Musikhochschule, er war auch Generalmusikdirektor in Kiel und an der Hamburgischen Staatsoper. "O Cristalina..." für drei Gruppen von Sängern und Instrumenten (2014/2016) auf ein Gedicht des spanischen Mystikers Juan de la Cruz ist der ergreifende Gesang eines zum Schweigen Verurteilten, der im Jahre 1577 wegen Ketzerei gefangen gehalten und gefoltert wurde. Für die Verwandlung wählte Zender einen kurzen Dialog aus dem Cantico espiritual, ein sphärenhafter Wechselgesang zwischen Braut und Bräutigam. Das SWR Vokalensemble intonierte mit glockenreinen Frauenstimmen zunächst den ersten Satz, metallische Schlagzeugklänge begleiteten die reizvollen harmonischen Bewegungen. Aufstellung und Vermittlung extremer Kontraste schärften dabei das Gehör, das Nebeneinander mehrerer Texturen führte zu scheinbar unendlichen Zeitströmen, deren Intensität immer mehr zunahm. Und die Tragfähigkeit der Klangflächen wurden vom SWR Vokalensemble zusammen mit dem SWR Symphonieorchester überzeugend ausgelotet. Zenders intensive Arbeit mit Naturtönen zahlte sich auch bei dieser ausgefeilten Wiedergabe aus. Reine Intervalle beherrschten das klangliche Geschehen. Der ekstatische Lobgesang dieser Frauenstimmen prägte sich tief ein. Das Zusammenwirken mit der Harfe erfordert vom Chor eine erstaunliche Sensibilität, der das SWR Vokalensemble zusammen mit dem SWR Symphonieorchester unter der umsichtigen Leitung von Cornelius Meister sehr gut gerecht wurde. Ein Synthesizer beherrscht dann den zweiten Satz für Männerstimmen und Instrumente. Man meint das Knattern eines Maschinengewehrs zu vernehmen. Es ist ein starker Kontrast zwischen Maschine und Natur, ein Bordun des Cellos unterstreicht die eigenartige Stimmung. Die drei Gruppen sind nicht als homogene Blöcke komponiert, was das SWR Vokalensemble sowie das SWR Symphonieorchester unter Cornelius Meisters kompetenter Leitung deutlich betonten. Die Flexibilität der Zeitabläufe spielt auch bei Hans Zenders erstaunlich tonal komponierten "Schubert-Chören" eine große Rolle. Hier konnte sich das SWR Vokalensemble zusammen mit dem SWR Symphonieorchester in ausgezeichneter Weise profilieren. Rhythmik, Dynamik und Tonhöhenlage bildeten eine Einheit. Im "Gondelfahrer" führten tiefe Glockenschläge nach Venedig, die rhythmisch schwankenden Impulse übertrugen sich in geheimnisvoller Weise auf den Chor. Barocke Mehrchörigkeit und unheimliche Klangvisionen berührten das Publikum ganz ungemein. Auch die Behandlung des Orchesterapparates beeindruckt hier mit bemerkenswerter Inspirationskraft. Echo-Effekte beherrschen den zweiten Satz, ein strophischer Klagegesang mit dem Titel "Coronach". Tremoli von Pauke, Marimba, Celli und Kontrabass erzeugen dabei eine eigenartige Vibration. Irdischer Klagegesang verbindet sich beim dritten Satz "Nachthelle" mit der Himmelssphäre. Das Schlagzeug spielt den Rhythmus des Chores in doppelten Notenwerten. Frauenstimmen gestalten zuletzt den "23. Psalm". Glockenspiel, Celesta, Harmonium, Vibraphon und Mandoline erreichen eine himmlische Intensität. Wie in einem Raumschiff entschwinden die Harmonien allmählich von der Erde. Das SWR Vokalensemble und das SWR Symphonieorchester unter der inspirierenden Leitung von Cornelius Meister fanden dabei ganz zusammen. Die Struktur wird dabei stark beeinflusst. Metrische Starrheit löste sich hier immer mehr zugunsten lyrischer Emphase auf. Der weich timbrierte Tenor Alexander Yudenkov gestaltete seinen Part mit einfühlsamer Präsenz. Zum Abschluss bot das SWR Symphonieorchester unter der Leitung von Cornelius Meister noch eine ebenso aufwühlende wie präzise Interpretation von Alexander Zemlinskys Fantasie in drei Sätzen für großes Orchester "Die Seejungfrau" nach einem Märchen von Andersen. Es ist die Geschichte einer Meerjungfrau, die für ihre Liebe zu einem schwarzäugigen Prinzen alles hergegeben hat und dann stumm zusehen muss, wie er eine andere liebt und heiratet. Es ist übrigens Zemlinskys eigene Geschichte. Seine Schülerin Alma Schindler verließ ihn wegen Gustav Mahler. Bei der Einführung in die Unterwasserwelt erklingt in A-Dur in der Solovioline zum ersten Mal das Thema der jungen Nixe. Das SWR Symphonieorchester unter der Leitung von Cornelius Meister gestaltete die vorantreibende Kraft der Themen und die expressiven Steigerungen mit großer spieltechnischer Reife und Elan. Verändernde Einschübe zwischen den einzelnen Teilen des Themas überzeugten aufgrund der klar herausgearbeiteten Konturen des Satzgefüges. Cornelius Meister hielt das harmonische Gefüge mit dem fieberhaft musizierenden Orchester deutlich zusammen. Filmisch wirkte der rasante Wechsel zwischen dem prachtvollen Fest und der einsamen Liebe der Protagonistin. Im unbeherrschten Dreivierteltakt fogte der Gang zur Meerhexe. Im stark verinnerlichten dritten Teil werden das Leben der Seejungfrau in der Menschenwelt, die Hochzeit des Geliebten und ihr Tod geschildert. Ornamentik und üppig dahinfließende melodische Linien erreichten bei dieser überzeugenden Darbietung eine imponierende Klarheit und Leuchtkraft. Das Thema wurde so ständig neu beleuchtet. Emotionale Distanz und burleske Sequenzen wechselten sich ab. Starker Schlussapplaus im Beethovensaal.

ALEXANDER WALTHER