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11/14/2016 10:43 published by Macke, Heinz (unknown) in Neudingen / Donaueschingen / Germany - #2.1.16.1.82.15.-20161114-1626

Bellinis \"Norma\" im Festspielhaus Baden-Baden - Alexander Walther

IN DIE ZEIT DES ZWEITEN WELTKRIEGS VERSETZT
 
Bellinis "Norma" mit Cecilia Bartoli am 10. November 2016 im Festspielhaus/BADEN-BADEN Die Inszenierung von Moshe Leiser und Patrice Caurier (Bühne: Christian Fenouillat; Kostüme: Agostino Cavalca) versetzt die Handlung von Vincenzo Bellinis Oper "Norma" ins Rom des Jahres 1942. Hitler und Mussolini sind präsent. Es ist auch die Zeit der brutalen Partisanenkämpfe. Liebe, Opfer und Verrat werden hier auf eine beklemmende Stufe gestellt. Man sieht tote Partisanen und Soldaten auf der Bühne.
 
Hier hat es die Oberpriesterin Norma stets zu verhindern gewusst, dass eine von ihrem Vater Oroveso geschürte Empörung der Gallier gegen die Römer eskaliert. Für Cecilia Bartoli ist diese Norma eine große Liebende, was sich auch in der Musik sehr deutlich äussert. Es geht in dieser nicht immer geglückten Inszenierung nicht nur um die Liebe zwischen Mann und Frau, sondern vor allem auch um Normas Liebe zu ihrem Volk. Die Inszenierung stellt auch deutlich heraus, dass Polliones Liebe zu Norma (mit der er zwei Kinder hat) erkaltet ist. Er hat sich statt dessen in die junge Priesterin Adalgisa verliebt - Flavio warnt vor der tödlichen Gefahr. In wilder Rache will Norma sich und Polliones Kinder töten, bedroht diesen auch zuletzt mit der Pistole und kündigt an, alle umzubringen.
 
Hier besitzt die Aufführung großes Feuer und Cecilia Bartoli erreicht starke Bühnenpräsenz. Adalgisa ist bereit, ihrer Liebe zu Pollione zu entsagen - und Norma schöpft wieder neue Hoffnung. Die Bühne wird durch wechselnde Vorhänge immer wieder gespalten. Ein anderes Mal nimmt man ein schlichtes Mansardenzimmer wahr. Bei der Zusammenkunft des Volkes wendet sich Norma scharf gegen einen Aufstand. Als Pollione Adalgisa gewaltsam entführen will, wird er verhaftet. Adalgisa wendet sich entsetzt von ihm ab, als sie erfährt, dass er mit Norma zwei Kinder hat. Norma fordert den Scheiterhaufen für sich und Pollione, der sie letztendlich um Vergebung bittet. Der Vater Oroveso soll sich Normas Kinder annehmen. Diese Schluss-Szene gelingt den beiden Regisseuren Moshe Leiser und Patrice Caurier am packendsten, denn es werden die Möbel der großräumigen Wohnung zusammengetragen, um den Scheiterhaufen zu errichten. Und im Hintergrund lodern die Flammen gespenstisch empor.
In dieser Inszenierung ist Norma keine unnahbare Heldin, sondern ein Mensch mit all seinen Leidenschaften. Am Ende steht das Opfer aus Liebe und der Verrat am eigenen Volk. Das Sühneopfer mit der Verpflichung zur Keuschheit erreicht hier eine enorme Intensität. Der Konflikt, der zwischen Normas Liebe zu Pollione und der Liebe zu ihrem Volk entsteht, wird bei dieser Inszenierung am überzeugendsten herausgearbeitet. Da erreicht die Aufführung auch eine große szenische Fülle. Man begreift, dass Norma ihre szenische Verstrickung verbergen muss. Und aus diesem Widerspruch ergibt sich die Tragödie der Norma, die zu ihrem tragischen Selbstopfer führt. Zuweilen hätte man sich allerdings in dieser Hinsicht vom Regieteam noch mehr psychologisches Fingerspitzengefühl gewünscht. Im Entschluss, sich selbst zu opfern, möchte Norma die Liebe Polliones zurückgewinnen. Die Sorge um die Kinder beschäftigt und bedrängt Norma ansonsten ständig. Dies zeigt sich in der Szene mit Clotilde im ersten Akt und im Duett mit Adalgisa im zweiten Akt. Die Stärke und gleichzeitige Schwachheit Normas fasziniert Cecilia Bartoli am meisten, was sie bei der Inszenierung auch drastisch zum Ausdruck bringt. Insbesondere auf die Schwachheit legt sie großen Wert.
 
Es geht um die Menschlichkeit dieser Figur. Hier bestehen Parallelen zum neorealistischen Film einer Anna Magnani. In der Inszenierung spielt die religiöse Seite der Norma als Priesterin keine so große Rolle, was nicht unbedingt von Vorteil ist, denn dadurch wird der Charakter dieser Figur vielleicht auch verfälscht. Der Verrat am Volk, der zu ihrem Tod führt, steht bei dieser Aufführung viel mehr im Zentrum des Geschehens. Feuer als Naturelement steht deswegen auch im Mittelpunkt. Die Inszenierung will ganz bewusst eine Brücke zum Geist der Uraufführungszeit bilden. In ihrer Darstellung versucht die begnadete Mezzosopranistin Cecilia Bartoli die berühmte Sängerin Maria Malibran zum Vorbild zu nehmen, was ihr im Festspielhaus Baden-Baden auch in grandioser Weise gelingt. Da fängt jeder Zuhörer sofort Feuer. Musikalisch gelingt diese Premiere als Übernahme von den Salzburger Festspielen aber wesentlich besser als szenisch. Dafür sorgt der umsichtige Dirigent Gianluca Capuano, der mit Originalinstrumenten musizieren lässt.
 
Das vorzügliche Orchester I Barocchisti und der exzellente Coro della Radiotelevisione svizzera (Einstudierung: Donato Sivo) erreichen bei einzelnen Passagen eine unglaubliche Intensität und unmittelbare dramatische Durchschlagskraft. Dadurch stechen die harmonischen Reize von Bellinis Partitur deutlich hervor. Die Darstellung menschlicher Leidenschaften geraten so ins unmittelbare Zentrum des Geschehens. Normas berühmte Kavatine "Casta Diva" gelingt Cecilia Bartoli deswegen so hervorragend, weil sie insbesondere die bewegenden lyrischen Zwischentöne bestens trifft. Der Belcanto-Zauber klingt im Festspielhaus umso verführerischer und ergreifender. Verminderte Intervalle und chromatische Durchgänge arbeitet der Dirigent Gianluca Capuano sehr gut heraus, da geht kein Detail verloren. Süditalienische Folklore lässt sich ebenfalls nicht verbergen. Dafür sorgen auch die anderen Sängerinnen und Sänger Peter Kalman als fulminanter Oroveso, Liliana Nikiteanu als eindringliche Clotilde und Reinaldo Macias als Flavio.
 
Norman Reinhardt als Pollione beeindruckt immer wieder mit klarem Timbre und überaus strahlkräftiger tenoraler Höhe. Cecilia Bartoli und Rebeca Olvera als bewegende Adalgisa zeigen im Duett des zweiten Aktes ("Diese Zarten jetzt beschütze") große Bühnenpräsenz und Ausdruckskraft. Gerade auch bei den hochvirtuosen verkürzten Koloraturen triumphiert Cecilia Bartoli mit ihrer auch klangfarblich überaus wandlungsfähigen Stimme. Marschrhythmen und Tremolo-Passagen faszinieren mit dem reduzierten Orchester mit erstaunlicher Intensität. Donizetti und Rossini bleiben bei dieser Wiedergabe stets spürbar. Gerade beim Schlussdeuett von Norma und Pollione zeigt sich sogar der Geist Richard Wagners. Musikalisch will diese Aufführung mit der Mezzosopranistin Cecilia Bartoli mit der herkömmlichen Tradition brechen, die bisher mit einem dramatischen Sopran für Norma und einem ausgeprägten Mezzosopran für Adalgisa lebte. Für Cecilia Bartoli werden dadurch nämlich die ganzen Klangverhältnisse des Stückes durcheinandergebracht.
 
Auch das Terzett des ersten Akt-Finales wird hier in der ursprünglichen Form aufgeführt, wo Adalgisa als Sopranistin mehr zu singen hat. Dies macht Rebeca Olvera sehr klangschön deutlich. Die packende Wucht des "Guerra, guerra"-Chores erhält in der urprünglichen Fassung ebenfalls mehr Gewicht und Wucht. Der Kriegsgesang endet in einem sphärenhaften A-Dur. Aufgrund der Originalklang-Instrumente entsteht tatsächlich eine bessere Möglichkeit des Dialogs zwischen Sängern und Orchester. Schubert lässt grüßen - und die Streicher demonstrieren mit Darmsaiten ihre spieltechnische Präsenz. Da auf Schönklang nicht unbedingt immer geachtet wird, treten die dramatischen Qualitäten mehr in den Vordergrund. Die Sinnlichkeit der südlichen Welt atmet unter der Leitung von Gianluca Capuano gleichsam neue Luft und Grandezza.
 
Das richtige Verhältnis vom rein Musikalischen zur tragischen Handlung wird von Cecilia Bartoli ganz bewusst gesucht und auch gefunden. Es ist wirklich eine neue Sichtweise, die auf die hochdramatischen Elemente im Sinne Wagners größten Wert legt. Dass sie die gesangstechnischen Schwierigkeiten der Partie mühelos bewältigt, versteht sich von selbst. So wird ein "wildes Weib" menschlich. Es ist ein großer Vorteil, dass die von Bellini ursprünglich vorgesehenen Stimmfarben verwendet werden. Dynamik und Tempi geraten ebenfalls nie aus dem Gleichgewicht. Beziehung und Balance werden in glücklicher Weise wiederhergestellt. Normas Schwanken und ihre Zweifel treten immer stärker in den Vordergrund, da sie von ihrem Ehemann wegen einer Jüngeren verlassen wird.
 
Der heroische Charakter von Bellinis "Norma" wird  hier aber ebensowenig verleugnet. Dafür sorgen visuell selbst die stummen Rollen der Lehrerin von Brigitte Ravenel und der Soldaten (Matteo Bellotto, Fabio Furnari, Thomas Gremmelspacher, Marco Radaelli und Marco Ricagno) sowie Schülerinnen und Schülern des Pädagogiums Baden-Baden. Schwärmerisch und intensiv gestaltet die Bartoli ihre Norma nicht nur bei der Phrasierung, was letztendlich zu berechtigten Ovationen des Publikums führte. Das Regie-Team hingegen musste "Buh"-Rufe einstecken. Das Belcanto mit historischen Instrumenten hat sich allerdings ausgezahlt. Dies gilt ebenso für die Orchestrierung der Dur-Coda, die wohl von Bellini selbst stammt.
 
ALEXANDER WALTHER