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06/21/2018 16:38 published by Alexander (unknown) in Aachen / Aachen / Germany - #2.1.16.10.1.1.-20180621-1922

"Animal Farm" als Gastspiel des belgischen Agora-Theaters nach George Orwell im Schauspiel Nord Stuttgart

HUND FÜRS GROBE IN DER MAßNAHME

Im belgischen Sankt Vith wurde dieses Stück als "Theater im Menschenpark" im Oktober 2017 uraufgeführt. Es ist eine kunstvolle szenische Bearbeitung von George Orwells "Farm der Tiere" - eine raffinierte szenische Collage voller historischer, philosophischer und popkultureller Aspekte in Anlehnung an Peter Sloterdijks Menschenpark. Autor ist Felix Ensslin, Ästhetikprofessor an der Stuttgarter Kunstakademie. Zusammen mit Daniela Scheuren hat er Regie geführt - abwechslungsreich, vielschichtig und voller Überraschungen. Als Nachkommen der Großen Revolution agieren die Gruppenmitglieder Cat, Jones, Polly, Boxer, Squealer, Benjamin, Chica und ein Hund als Tier fürs Grobe in der Maßnahme: "Der Mensch ist begrenzt, lebt nicht lang, übernimmt sich..." Man sieht die Tiere zusammengepfercht als Schweine, Esel und Hähne - sie eilen auf das Publikum zu: "Schöne Bilder entstehen durch strenge Selektion". Und der Hund als Tier fürs Grobe in der Maßnahme und ohne politische Zugehörigkeit stolziert immer wieder über die Bühne. Wissenschaft wird hier zur Kunst, sie führt Regie. Auch die Katze ist mit von der Partie: "Man sah sie eines Tages auf dem Dach sitzen und zu den Sperlingen sprechen, die sich außerhalb ihrer Krallenweite befanden." Die Schauspieler Karen Bentfeld, Galia De Backer, Catharina Gadelha, Roger Hilgers, Joe Keil, Eno Krojanker und Daniela Scheuren leisten viel. Akrobatische Einlagen korrespondieren mit musikalischen Sequenzen, Gesang und ausgelassenen Sprechkunststücken. Unter den Gruppenmitgliedern befinden sich eine Studentin und eine Journalistin, aber auch eine Wissenschaftlerin und ein Kommunalpolitiker. Man agiert immer wieder mit viel Situationskomik und Spielwitz: "In der Maßnahme brauchen wir Kapital und Intelligenz, keine Revolutionen." Alles beinhaltet nichts. Aber die Tiere übernehmen auch die Macht. Rhythmische Gewitter verkünden Adolf Hitler und Benito Mussolini, in sekundenschnellen Video-Botschaften sieht man plötzlich Kohl, Gorbatschow, Merkel, Bush, Trump, Adenauer, Berlusconi und andere. Visuelle Bilderfluten überfallen den Zuschauer wie Wasserbäche, in alptraumhaften Schrecksekunden stürzt ein junger Mann zwischen Hochhäusern immer wieder in die Tiefe. Da vermischen sich filmhafte Traumvisionen mit der Wirklichkeit: "Ein Hund, der tut mir Liebe kund!" Es ist ein seltsames Theater eines Realismus, der wiederholt in undurchsichtigen Visionen sphärenhaft abdriftet. Der Wolf erscheint hier auch als Schauspieler im Rahmen einer Nachahmung, Täuschung und Tarnung. Das Mikrophon wird für verschiedene Gesten als Tarnung benutzt: "Entkommen ist kein Ziel..." Squealer betont als Gruppenmitglied ultimativ: "Wenn ihr trainiert, hört auf rumzuwichsen! Underground Timing! Der Weg zur Versöhnung mit eurer jämmerlichen Existenz." Das Gruppenmitglied Benjamin meint: "Wir wollten mehr Leute erreichen. Dann haben wir mit den Sozis gemeinsam Karneval gefeiert, und der ist mit der Kreisvorsitzenden abgehauen." Polly philsosophiert als fundierte Journalistin über die "Zeitkapsel: "...nur dass der Kapsel die Zeit abhandengekommen ist." Frauen zeigen sich gegenseitig die Vagina, ein Orgasmus folgt dem anderen - und mit dem Masturbationsprojekt in der "Fotze" wird geschrieben. Die Welt steht auf dem Kopf: "Du musst in Bewegung bleiben. Entweder es geht rauf, oder es geht runter! Alles andere ist bloße Zeitverschwendung." Squealer meint aber auch: "Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten." George Orwell erzählt dann von seinem Traum der letzten Nacht: "Es war ein Traum von der Erde, so wie sie dereinst sein wird, wenn der Mensch verschwunden ist." Im Video sieht man die Herzfrequenz, auf die die Schauspieler minuziös reagieren. Zu feierlichen Orgelklängen erscheint das Konterfei des Physik-Genies Albert Einstein als Puppe. Und die Bühne wird zum verrückten Erziehungsheim: "In der Welt der Superhirne ist Stagnation nicht erlaubt." Das Team singt das Volkslied "Der Mond ist aufgegangen". Gleichzeitig werden Werbeslogans im digitalen Zeitalter verkündet: "Hauptsache Allianz versichert!" Die Tiere haben in diesem Stück menschliche Formen angenommen, denn auch die Katze ist dem "Reedukationskomittee" beigetreten. Gleichzeitig wird Menschenzucht stark kritisiert. Das Publikum war vor allem von den schauspielerischen Leistungen an diesem Abend beeindruckt. Wenn Theater so lebendig ist, kann es nicht langweilig werden.

ALEXANDER WALTHER