Top newsWorld

News in: Deutsche SpracheDeutsche Sprache
04/08/2018 17:02 published by Alexander (unknown) in Aachen / Aachen / Germany - #2.1.16.10.1.1.-20180408-1878

"Schöne neue Welt" von Aldous Huxley im Schauspiel Nord - Premiere

EINE WELT DES DAUERGLÜCKS

Aldous Huxley, der auch in Hollywood als Autor Karriere machte, entführt den Leser in seinem Roman "Schöne neue Welt" in eine Atmosphäre des permanent erzwungenen Dauerglücks. Es ist eine Diktatur, die die Menschen ohne Leiden leben lässt. Polyamouröses Verhalten ist an der Tagesordnung, es gibt keine Armut, kein Alter, keine Krankheit. Der Regisseur Philipp Rosendahl (Bühne und Kostüme: Birgitte Schima) macht durchaus deutlich, wie die Bevölkerung in gottesdienstähnlichen Zeremonien zu gleichförmigen Mitläufern des Systems erzogen wird. Die große Zeit des Hasses und der Spaltung der zvilien Ordnung ist aber vorbei. Und die Droge Soma macht die Menschen willenlos. "Oh, schöne neue Welt, die solche Wesen trägt!" heißt es hier mit dem Zitat aus William Shakespeares "Sturm". Aber der Außenseiter Bernard Marx entzieht sich diesem Diktat der Herrschenden. Gemeinsam mit Lenina Crown unternimmt er eine Expredition in ein Eingeborenen-Reservat, in dem die Menschen frei von staatlicher Kontrolle leben. Die soziale Ghettoisierung tritt bei der Inszenierung dadurch umso deutlicher hervor. Ein kreisförmiges Stahlgerüst mit aufleuchtenden Lampen wird hin- und hergefahren - das erinnert ganz entfernt an die scheibenförmige Weltkugel. Hier leben die Menschen nun mit Leiden und Krankheit. Leidenschaft und Fantasie spornen sie an. Die sozialen Zerrütungen des 21. Jahrhunderts werden immer wieder thematisiert. Die Schauspielerinnen und Schauspieler Lua Mariell Heckmanns, Daniel Dietrich, Giovanni Funiati, Lorena Handschin, Sebastian Kempf, Jelena Kunz, Thorsten Rodenberg und Arwen Schünke (allesamt höchst talentierte Studierende der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart) scheinen völlig unter Drogen zu stehen, zittern am ganzen Leib, verkörpern mit der suggestiven Musik von Marco Mlynek aber auch das neuzeitliche Projekt Mensch. Die technologische Basis des digitalen Menschenbildes tritt in dieser Inszenierung wiederholt deutlich hervor. Hightech-Professionen stechen grell heraus, im Hintergrund öffnet sich der Bühnenraum und ein kleines Wohnzimmer wird hereingefahren. Auch hier erscheint der Mensch plötzlich als Computer, als Cyborg, Datei oder Programm. Dieser radikale Roboterwandel wirkt zuweilen bedrückend, aber es blitzt auch immer wieder Humor auf: "I like your style, I like your legs..." Man zitiert ein Gedicht von Gottfried Benn. Die Virtualisierung dieser Welt kann auch Marx nicht aufhalten. Die sexuelle Befreiung geht mit Lifescreenern, Softwaredesignern und Food Optimizern einher. Früher fühlten sich die Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe und ihres Geschlechts ungleich behandelt, es gab Schriftsteller und Intellektuelle, die zu der Kaste der Mahner, Warner und Bedenkenträger gehörten - alles wirkt wie weggewischt. Alle Wesen sind gleich, Spiele und unbegrenztes Kopulieren schaffen eine totale Scheinwelt (choreografische Mitarbeit: Constantin Hochkeppel). Ein Beta muss dabei nicht so hart arbeiten wie ein Alpha, die grau tragenden Alphas sind aber viel besser wie die Gammas, Deltas und Epsilons. Musikalisch wird eine kühne Scheinmodulation über die Gewürztonarten mit subtilen Dissonanzen präsentiert: "TTT Thymian, La, La La, La Le Lu..." Gleichzeitig wirken hier die wachsenden Kapazitäten der Computer bedrohlich, beherrschen selbst die Liebesszenen auf dem Bärenfell. In der Reibungshitze gehört jeder jedem. Aber alle sind glücklich. Der weinende Sohn schwärmt für die Blondine, verfolgt sie, es kommt zu einer absurden Kopulation: "Wir brauchen eine andere Form von Irrsinn und Gewalt." Die Figuren sind elektrisiert: "Ich liebe dich über alles!" Und in einer computergesteuerten Welt kann selbst die Mutter nicht sterben. Der Mensch wird in dieser gnadenlosen technischen Zivilisation geradezu aufgefressen. Nietzsches "Übermensch" besitzt mit unfassbarer Lichtgeschwindigkeit eine gewaltige Präsenz. Die Frage nach Gott stellt sich trotzdem: "Jetzt hilft ihm nur noch der Glaube..." Im Nordlabor begleitet eine Vernissage der Gruppe CIS und Sabrina Karl diese Inszenierung unter dem vielsagenden Motto "Sag du mal, was du gedacht hast,..." Die Megabytes füllen in unbeschreiblichen Sekunden das Dienstgehirn. Philipp Rosendahls Inszenierung spielt höchst virtuos und hintersinnig mit diesen seltsamen virtuellen Scheinwelten, die dem souverän agierenden Schauspiel-Team ein großes Maß an darstellerischer Beweglichkeit und Transparenz abverlangen. Zu Recht wurden die Darsteller bejubelt. 

ALEXANDER WALTHER