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01/19/2018 07:27 published by Alexander (unknown) in Aachen / Aachen / Germany - #2.1.16.10.1.1.-20180119-1834

Anton Bruckners 9. Sinfonie mit dem SWR Symphonieorchester unter Teodor Currentzis in der Stuttgarter Liederhalle

GEBALLTE WUCHT VEREINT

Bei seinem Antrittskonzert vor dem Beginn als Chefdirigent im Herbst formte Teodor Currentzis zusammen mit dem konzentriert musizierenden SWR Symphonieorchester den Beginn des ersten Satzes tatsächlich aus dunklem, raunendem Nichts. Acht Hörner tasteten wie ratlos suchend den Akkord der Grundtonart ab. Immer mehr Energien sammelten sich bei dieser Wiedergabe, bis das urgewaltige, schroffe und in Oktaven herabstürzende Hauptthema in voller Wucht hervortrat. Ein gelungener Auftakt. Diese "Auseinandersetzung mit Gott" führte zu einem übermächtigen Ausbruch, dann sank der Klang in leere Tiefen, während die milde Streichermelodie des zweiten Themas einsetzte. Aus der Umkehrung des Themas erwuchs bei dieser konzentrierten Interpretation eine mächtige Steigerung. Aus den Quinten tauchte dann sphärenhaft das dritte Thema auf, wobei sich auch die Hörnermelodien geheimnisvoll in die Höhe schwangen. Durchführung und Reprise waren dann bei Currentzis von großen Spannungsmomenten geprägt. Einzig die mit Crescendo- und Diminuendo-Dynamik auf- und abschwellenden Klangflächen wirkten zuweilen etwas übertrieben. Dadurch ging die Wirkungskraft verloren. Das Bild eines mit Gott ringenden Mystikers setzte sich hier dennoch durch. In der Coda prallte die Einleitungsfanfare hart gegen den Granitblock des Hauptthemas. Und der dröhnende Schlussakkord blieb gleichsam als bohrende Frage übrig. Leere Quinten reckten sich in gespenstischer Weise auf wie am Rande des Nichts. Im Scherzo meisselte Teodor Currentzis das erstaunliche Kopfthema eindringlich heraus, das Miteinander der Töne wurde sehr gut in das Nacheinander einer "Melodie" aufgelöst. Der stampfende Rhythmus erhielt klare Akzente, die sich stets verdichteten, dann steuerte die Oboe einen österreichischen Ländler bei, der gar nicht so harmlos wirkte. Über das zartere Trio huschten gespenstische Schatten, so dass keine rechte Ruhe für eine poetische Stimmung aufkam. Als "Abschied vom Leben" bezeichnete Anton Bruckner schließlich das Adagio, das die Sinfonie feierlich beschloss. Sehr ergreifend und persönlich ließ Teodor Currentzis diesen Satz mit dem klangschön musizierenden SWR Symphonieorchester spielen. Der schmerzliche Abgesang erfuhr eine ungeheure Steigerung in riesigen linearen Bögen, wobei die Geigen in entrückte Höhen emporgetragen wurden. Doch auch der Schrei der Qual blieb nicht aus, Hörner und Tuben stimmten weihevoll diesen "Abschied vom Leben" an, wehmütig erklang das zweite Thema. Und die Streichermelodie erweckte wieder neu die Qual - sogar noch schmerzlicher bei der kämpferischen Themenumkehrung. Die Streicher enthüllten überaus sphärenhaft eine glühende Vision des Jenseits. Und in voller Schönheit erklang jetzt die Melodie. Sanfte Klänge der Verklärung beschlossen diesen Satz, wobei Teodor Currentzis auch die Nähe zum Adagio-Gebet von Bruckners achter und das "Heldenthema" seiner siebenten Sinfonie betonte. Als Finale und zum Abschluss erklang "Lontano für großes Orchester" von György Ligeti aus dem Jahre 1967, wobei die linare und klangliche Dichte dieses Werkes sehr schön hervorgehoben wurde. Dynamische Zurückhaltung herrschte zwar vor, aber alle Stimmen waren hier von einem eigenartigen Umwandlungsprozess betroffen, der sich ständig fortsetzte. Die Feinabstufung der Lautstärkenuancen ging nicht unter. Der Klangraum schien sich in Oktavverdopplungen ständig zu erweitern - hier hatte die gelungene Wiedergabe eine deutliche Nähe zur "Weltraummusik". Nach dem Tritonusintervall stiegen die Trompeten und Posaunen in geheimnisvolle Höhen.Da sich Bruckner für seine unvollendete neunte Sinfonie einen Abschluss wünschte, ist diese Version mit Ligeti durchaus legitim. Stürmischer Schlussapplaus, begeisterte "Bravo"-Rufe. 

ALEXANDER WALTHER