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04/10/2017 07:20 published by Alexander (unknown) in Aachen / Aachen / Germany - #2.1.16.10.1.1.-20170410-1706

Berliner Philharmoniker mit Mahlers 6. Sinfonie im Festspielhaus Baden-Baden

DIE STREICHER FESSELN MIT AUFWÜHLENDEM KLANG

Sir Simon Rattle leitet die Berliner Philharmoniker bei Mahlers 6. Sinfonie im Festspielhaus/BADEN-BADEN "Wozu der Lärm?" schrieb der Kritiker Gustav Altmann verständnislos bei der Uraufführung von Mahlers sechster Sinfonie in a-Moll im Jahre 1906 in Essen. Ein Bonmot, das man heute nicht mehr verstehen kann. Glücklicherweise hat sich Mahlers Musik etabliert. Das ist auch einem Orchester wie den Berliner Philharmonikern zu verdanken, die diese Musik unter der Leitung von Sir Simon Rattle im Festspielhaus sehr transparent und mit aufwühlendem Streicherklang musizierten. Keine Frage ist jedoch, dass man für Mahlers Musik nach wie vor kämpfen muss. Und bei der Wiedergabe durch die Berliner Philharmoniker blieben in diesem Zusammenhang keine Fragen offen, die Bezeichnung "Tragische" kann man in jedem Fall nachvollziehen. Rattle mache keine langen Pausen und wählte zügige Tempi. Als gewaltiger Kampf gegen das Starre und Dämonische konnte man diese Musik im Sinne Paul Bekkers in jedem Fall wahrnehmen. Im ersten Satz begegnete man hier deutlich dem ruhelos suchenden Wanderer Mahler. Dem Marsch des ersten Satzes gewann Sir Simon Rattle starke Wucht und inneres Feuer ab - vor allem beim Trompetenakkord von Dur nach Moll trat dies zutage. Wie ein Schicksalsspruch wirkte dieses Klangsymbol. Die Bedeutung eines Themas war für Mahler wichtiger wie dessen Substanz, was Rattle mit den Berliner Philharmonikern gut betonte. Dem ersten Thema wurde ein Gegengewicht gegeben. Was Intonationssicherheit und Dynamik betrifft, ist diese Interpretation traumhaft und mit anderen Klangkörpern kaum zu vergleichen. Insbesondere die Streichergruppen leisteten eine ausgezeichnete Arbeit. Dies kam auch in den erregenden Klängen der Durchführung bewegend zum Vorschein. Das leidenschaftliche Thema Alma Mahlers ergriff die Zuhörer hier unmittelbar. Klangwunder und Entrückungsvision prägten das wunderbar musizierte Andante, wo Rattle den Legato-Bögen immer neue Nuancen abgewann. Unheimlich und fantastisch zugleich kam dann das wuchtige Scherzo daher, das seine Erdenschwere rasch verlor. Über Paukenschlägen hob sein plumper Tanz an und prallte schroff auf das Dur-Moll-Motto aus dem ersten Satz. Der Schluss drohte mit einer dunklen Frage und machte den altväterlichen Gesten den Garaus. Hervorragend spielten die Berliner Philharmoniker unter Sir Simon Rattle das Finale dieser ungewöhnlichen Sinfonie, das als weiträumiger Sonatensatz riesige akustische Dimensionen anzunehmen schien. Schon die "Sostenuto"-Einleitung setzte ungeheure Kräfte frei, die sich immer mehr steigerten. Choralklänge verbanden sich mit dunklen Melodien, aus den vorangegangenen Sätzen hallten Melodiefetzen nach. Das Motto des Schicksalsspruches stand mit unglaublicher Macht über allem. Das war die entscheidende Aussage dieser bedeutenden Wiedergabe durch die Berliner Philharmoniker unter Rattles stets anspornender Leitung. Mahler kam als Leidender zu Gehör, dessen Marschthemen sich immer leidenschaftlicher vorwärtsdrängten und behaupteten. Als einer breit strömenden Melodie gerade der Aufschwung geglückt war, fiel in erschütternder Weise der Hammer. Mit übermenschlichen Kräften sollte das Ungeheure überwunden werden. Doch der zweite Hammerschlag vernichtete dann alle Hoffnung, bevor nach dem dritten Aufbegehren alles in Resignation versank. Wagners "Götterdämmerung" blieb bei Rattles Sichtweise spürbar. Exposition, Durchführung, Reprise und Coda wirkten bei ihm wie aus einem Guss. Das Feuer loderte. Auch die Nähe zu den "Kindertotenliedern" blieb immer spürbar. Insbesondere das bodenlose Versinken des Dur-Moll-Schicksalsmotivs gelang den Berliner Philharmonikern exzellent. Und zuvor hatte sich der Bläserchoral mit verzweifelter Kraft gegen das Schicksal gestemmt. Riesenjubel.

ALEXANDER WALTHER