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"Das Jahr magischen Denkens" im Studiotheater Stuttgart
Premiere von "Das Jahr magischen Denkens" im Studiotheater/STUTTGART Dieses Schauspiel von Joan Didion basiert auf ihren Memoiren. Neben Tom Wolfe, Norman Mailer und Truman Capote gilt sie als eine der wichtigsten amerikanischen Schriftstellerinnen. Gefühle wie Schmerz und Trauer werden auch in diesem Schauspiel seziert. "Das Leben ändert sich schnell. Das Leben ändert sich in einem Augenblick. Man setzt sich zum Abendessen, und das Leben, das man kennt, hört auf." In dieser Inszenierung von Uwe Brandt als Produktion des Grenzlandtheaters Aachen in Kooperation mit dem Studiotheater Stuttgart spielt Gundi-Anna Schick in virtuoser und bravouröser Weise die Hauptrolle, einen beklemmenden Solo-Monolog mit erheblichem Schwierigkeitsgrad. Das Schriftstellerpaar Joan Didion und John Dunne wird hier plastisch geschildert. Beide kehren aus der Intensivstation zurück, wo ihre Tochter mit einer lebensbedrohlichen Lungenentzündung liegt. In der schwarz-weißen Raumausstattung von Manfred Schneider kann sich das aufgewühlte Seelenleben von Joan Didion eindringlich entfalten. Mitten im Gespräch stirbt John plötzlich an einem Herzinfarkt. Das Essen sollte gerade vorbereitet werden. 40 Jahre einer Lebensbeziehung sind auf einmal vorbei. Gundi-Anna Schick schildert als Schauspielerin hier in bewegender Weise die grenzenlose Verzweiflung dieser Frau, die ihren Schockzustand erlebt: "Ist John in Los Angeles schon tot?" Alles passierte 2003. "Es wird Ihnen passieren", ergänzt Joan Didion, die sich direkt ans Publikum wendet. Man fühlt sich tatsächlich unmittelbar angesprochen. Mit schonungsloser Offenheit beschreibt sie ihre "magischen Tricks", die ihr jedoch nicht wirklich weiterhelfen. Der Schwebezustand zwischen Realität und Fiktion wird hier knallhart beschrieben. "Ich liebe dich mehr als den nächsten Tag", betont Joan Didion - und dennoch kann sie ihren toten Mann nicht zurückholen. Aber es bleibt eine tiefe seelische Verbindung mit dem Toten, was durch fesselnde Lichteffekte dokumentiert wird. Gundi-Anna Schick bewältigt den horrend-schwierigen Text mit grandioser Nonchalance. Vor allem die fundamental pessimistische, fatalistische und depressive Anschauung dieser Frau von der Welt kommt drastisch zum Vorschein. Aber man erfährt auch einiges aus ihrem Leben. So wurde sie 1934 in Kalifornien geboren, studierte englische und amerikanische Literatur an der Universität von Kalifornien in Berkeley.Und 1956 gewann sie einen Preis der Zeitschrift "Vogue" und ging nach New York. Gundi-Anna Schick gelingt es dank ihrer bewegenden Darstellung, sich gegen das Schicksal zu stemmen. Man merkt, mit welcher unglaublichen Wucht diese Frau gegen die unbarmherzige Welt ankämpft. Aber alle Widerstände sind letztendlich vergebens. Das berührt die Zuschauer ganz unmittelbar. Denn nicht nur John, sondern auch ihre Tochter stirbt schließlich. Es ist ein wirklich trostloses Ende, das ganz entfernt an Samuel Beckett erinnert. Der absurde Kampf ums Überleben endet in großer Resignation. Und doch beherrscht dank wechselnder Lichteffekte ein starker Zauber das Ende dieses Stücks.
ALEXANDER WALTHER