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29/01/2017 08:41 published by Alexander (unknown) in Aachen / Aachen / Germany - #2.1.16.10.1.1.-20170129-1674

DER KLANG FÜLLT DEN SAAL AUS

Anne-Sophie Mutter gastierte im Festspielhaus Baden-Baden bei einem Violinrezital mit Lambert Orkis/

BADEN-BADEN Anne-Sophie Mutter besitzt die besondere Fähigkeit, mit ihrem Geigenklang einen ganzen Saal zu füllen. Diese orchestrale Wirkungskraft ist erstaunlich, weil sie sich damit von anderen Geigern unterscheidet. Man konnte sie jetzt wieder bei diesem bravourösen Violinrezital zum 40. Bühnenjubiläum der vierfachen Grammy-Gewinnerin feststellen. In dem Grammy-Preisträger und überaus erfahrenen Pianisten Lambert Orkis hat sie einen kongenialen Partner gefunden. "Clockwork" von Sebastian Currier enstand 1989 für den Geiger Lewis Caplan. Aber auch für Anne-Sophie Muter hat der Amerikaner Currier Kompositionen geschrieben. Hier werden kleine rhythmische Muster akzentuiert, das "Uhrwerk" tickt auf ganz eigene und unverwechselbare Weise. Insbesondere die markanten Tremolo-Passagen gingen bei ihrem expressiven und feinnervirgen Spiel unter die Haut. Da wurden tiefe Klangschichten unter der harmonischen Oberfläche freigelegt, wobei man geradezu aufregende und neuartige Klangerfahrungen machen konnte. Danach folgte eine beglückende Wiedergabe von Wolfgang Amadeus Mozarts Sonate für Klavier und Violine in A-Dur KV 526. Anklänge an "Don Giovanni" und Ludwig van Beethoven kamen bei dieser Interpretation spannungsvoll und leuchtkräftig zum Vorschein. Und die strukturellen Feinheiten des Sonatensatzes blitzten ebenso glanzvoll hervor wie die lineare Stimmführung. Das Andante mit seiner synkopischen Variante beeindruckte mit großen Ausdruckstiefen. Eine rasante Achtel-Bewegung beherrschte das brillant dargebotene Finale mit stürmischen Viertel-Passagen. Nach der Pause begeisterte die leidenschaftliche Interpretation von Maurice Ravels Sonate für Violine und Klavier in G-Dur, wo Anne-Sophie Mutter und Lambert Orkis künstlerisch ganz zusammenwuchsen. Die lineare Zwei- und Dreistimmigkeit arbeitete  auch der umsichtige Pianist Lambert Orkis mustergültig heraus. Im Kopfsatz faszinierte die Kombination der vier Themen, wobei das Fugato aufgrund der konzertanten Zuspitzung einen Gipfelpunkt markierte. Im zweiten Satz stach der bitonale Blues in reizvoller Weise hervor. Anne-Sophie Mutter lauschte den Klängen nach, führte aber auch die dynamischen Kontraste zu enormen Steigerungswellen. Pizzicato-Akzente machten sich facettenreich bemerkbar. As-Dur und G-Dur färbten das Klangbild in bewegender Weise. Vor allem die kunstvolle Verarbeitung des thematischen Materials wurde genau getroffen. Das gleiche galt für den Perpetuum-mobile-Charakter des grandios musizierten Finales, das Ovationen auslöste. Eine exzellente Darbietung boten Anne-Sophie Mutter und Lambert Orkis bei der schwierig zu spielenden Sonate für Violine und Klavier op. 119 von Francis Poulenc, der als "Mönch und Lausbub" galt. Insbesondere die berühmte Melodie der Briefszene der Tatjana aus Tschaikowskys Oper "Eugen Onegin" gewann aufgrund der emotionalen Wiedergabe von Anne-Sophie Mutter einen bewegenden Geigenton. Das Intermezzo wirkt eher neoklassizistisch und ist dem 1936 im spanischen Bürgerkrieg ermordeten Dichter Federico Garcia Lorca gewidmet. Übersteigerte Chromatik, Schlichtheit in Harmonik und Melodie, Bitonalität, Motorik und groteske Wendungen wurden von Anne-Sophie Mutters Violinspiel in aufwühlender Weise aufgedeckt. Zwischen Glissando- und Pizzicato-Passagen war diese Art des Musizierens ein ständiges Hinterfragen und Ausloten klanglicher Bewusstseinsebenen, die sich in vielen Schichten überlagerten. Poulencs Violinsonate wurde übrigens durch Poulenc und die viel zu früh in tragischer Weise verstorbene Geigerin Ginette Neveu 1943 in Paris uraufgeführt. Grandios wirkte zudem Introduction et Rondo capriccioso für Violine und Klavier in a-moll op. 28 von Camille Saint-Saens, das er dem 16jährigen Meistergeiger Pablo de Sarasate widmete. Zwischen atemlosen Fandango-Themen und melancholischen Zwischenspielen heizte Anne-Sophie Mutter zusammen mit Lambert Orkis die Stimmung immer weiter an, trieb die ausufernde Harmonik in einen wahren Hexenkessel, der mit sinnlicher Grazie gewürzt war. Herabsteigende und wieder kühn aufsteigende Themen glichen hier einer musikalischen Achterbahnfahrt, die ihresgleichen suchte. Kapriziös dahinhuschende Themen wurden aber in ihrer Wirkungskraft nicht verwischt, sondern alles erhielt seinen angemessenen Wirkungsgrad. Als Zugabe spielte das Duo Mutter/Orkis noch Tschaikowskys berührende Melodie in einer Bearbeitung von Jascha Heifetz, eine knisternde Rumba-Bearbeitung von Heifetz und die Filmmelodie "Schindlers Liste" von John Williams. Sie gab diesem Konzert einen würdevollen Abschluss. Tosender Schlussapplaus.

ALEXANDER WALTHER